20.
Dez.
2022

Auf den Boden bringen

Es ist windig. Die Krisen pfeifen uns nur so um die Ohren: Klima, Demokratie, Energie, Mitarbeiter:innen. Auch die eigenen Identitäten und Glaubenssätze wackeln. Einige wollen wieder zurück zum Alten, ins Bekannte, ins vermeintlich Sichere. Schnelle Antworten und noch schnellere Lösungen sind gefragt: Workshops, Klausuren, Task Forces und Aktionismus haben Hochsaison.

Nicht immer ist das erfolgreich. Viele Herausforderung und deren Lösungen sind komplex. Sie gehen ans Eingemachte und konfrontieren uns mit Routinen und mentalen Modellen, die wir nicht mit einem Workshop aus dem Kopf kriegen. Schön wärs, aber ein Unternehmen oder Arbeitsteam ändert man so nicht. Stefan Kühl hat diesem Thema unlängst in Workshop – Weswegen die Phasen vor und nach dem Treffen häufig wichtiger sind als die Treffen selbst ein wenig auf den Zahn gefühlt. Wenn es also nicht so einfach geht, wenn die Zeit dazwischen wichtiger ist, was hilft dann? Ich habe ein paar Punkte zusammengefasst, die auf Grund meiner Erfahrung dazu beitragen, dass Veränderungen wirklich gelingen können, dass Wirksamkeit entsteht.

Unter die Oberfläche tauchen

Schauen wir auf die Organisation. Da gibt es an der Oberfläche einiges zu sehen: Strukturen, Prozesse, ein Business-Modell oder Verhaltensweisen. Unter der Oberfläche gibt es noch mehr zu entdecken: Mentale Modelle, Entscheidungsmuster, Narrative. Gerne arbeiten wir über dem Wasser, da kriegen wir gut Luft und können zeigen, was sich verändert hat. Wirkliche Veränderung muss aber in die Tiefe und hat die Aufgabe, das Unsichtbare begreifbar zu machen. Bormann et al. beschreiben in ihrem Buch Change durch Co-Creation zwei zentrale Aufgaben in diesem Zusammenhang: Organisationen müssen erstens Wege finden, um ihre mentalen Modelle, Narrative und Muster zu verstehen und zu verändern und sie müssen zweitens Störungen und Anregungen aus der Außenwelt aufgreifen und nutzen. Wirkliche Veränderung geht also in die Tiefe und damit wird klar, dass ein Schnorchel dafür nicht reichen wird.

Mit guten Fragen beginnen

Schauen wir auf den Beginn. Wir suchen Ideen und Lösungen für unsere Probleme. Wir müssen endlich auch mit dabei sein. Wir brauchen etwas Neues. So oder ähnlich klingen Anfragen oder beginnen Projekte. Diese Ansätze greifen oft zu kurz und bündeln wenig Energie. Ich schätze hier die Kraft von gut formulierten Entwicklungsfragen, die ein Feld der Kreativität aufspannen und inhaltliche und kreative Auseinandersetzung fördern. Diese Fragen sind nicht zu eng aber auch nicht zu weit und allgemein formuliert. Sie bilden einen ersten Startpunkt für eine gemeinsame Lern- und Entwicklungsreise. Schon ihre Formulierung bringt Neues an die Oberfläche. Im Laufe eines Entwicklungsprozesses können Fragen jederzeit verändert werden. Neue Fragen bieten Stoff für viele weitere Tauchgänge. Zur Inspiration hat IDEO hier ein paar wirklich große Fragen formuliert: Big Questions.

Kreative Räume halten

Schauen wir auf den Prozess. Klausuren und Workshops sind oft gut und hilfreich. Nicht immer sind sie jedoch geeignet, um Themen vertiefend zu verstehen oder um wirklich gute und wirksame Lösungen zu finden. Dafür braucht es Zeit und den Mut, die Themen und Fragen zu zergliedern und Ursachen zu verstehen. Und genau dafür braucht es geschützte kreative Entwicklungsräume, in denen Sichtweisen und Themen hinterfragt, Außensichten eingeholt und die einen oder anderen Emotionen abklingen können. Es gilt diesen Raum zu halten, auch wenn es oft schwierig ist. Es gilt Widersprüche stehen zu lassen und Tiefs zu nutzen. Das alles gehört dazu, denn ohne diese Entwicklungs-Stacheln kommt man selten an die wirklichen wichtigen Punkte dran. Ich arbeite hier gerne mit klar abgegrenzten dreimonatigen Entwicklungsprojekten. Drei Monate sind aus meiner Erfahrung ein Zeitraum, der in vielen Themen sowohl Tiefe und iterative Schleifen als auch erste konkrete Schritte ermöglicht.

Kleine Teams formieren

Schauen wir auf die Menschen. Gerne wird in Entwicklungsprozessen auf die Weisheit einer Gruppe oder von Teams zurückgegriffen. Keine Frage, das ist wunderbar. Die Arbeit in Teams ist jedoch immer ein Balanceakt zwischen der Schwarmdummheit und einem genialen Ergebnis der Co-Creation. Eine möglichst breite Beteiligung hat viele wunderbare Seiten und ist ein wichtiges Element der Entwicklung. Sie muss aber klug eingesetzt werden. In der Praxis fehlen mir dafür immer wieder einmal die Ressourcen, die Motivation schwindet oder notwendigen Kompetenzen fehlen. Deshalb schätze ich die Kraft von kleinen fokussierten Spezialteams. Drei motivierte Menschen können Berge versetzen. Sie können Kolleg:innen, Kund:innen oder Stakeholder jederzeit in Form von Fokusgruppen und Interviews oder zur Weiterentwicklung ihrer Lösungen einbinden. Das Prinzip der kleinen Kreise ist für mich in diesem Zusammenhang sehr hilfreich.

Prototypen entwickeln

Schauen wir auf die Ergebnisse. Viele Meetings, Workshops oder Runden neigen zum Zerreden. Da wird ein Argument gegen das andere in den Kreis gejagt um am Ende frustriert eine ToDo-Liste zu erstellen, die dann niemand so richtig umsetzen will. Die Angst vor dem Scheitern lähmt. Visualisierung wird überschätzt. Die Routinen und ihre Ergebnisse sind hinlänglich bekannt. Hier helfen Prototypen ungemein weiter. Sie sind ein Musterwechsel vom Reden ins Tun: Ein erster Entwurf, eine erste Skizze, ein Modell oder eine erste Aktion. Scott Witthoft hat dazu gerade ein wunderbares Büchlein verfasst: This is a Prototype. Dieses gemeinsame Kreieren wirkt oft Wunder. Ideen und Lösungen werden begreifbar und angreifbar, sie werden veränderbar und lassen sich fast spielerisch weiter entwickeln. Was früher im Kreis zerredet wurde, wird damit klarer, differenzierter. Ein kleines Team kann damit oft komplexe Lösungen auf den Tisch legen und weiter entwickeln. So entsteht Neues. NO-Meeting ist angesagt.

Am Boden bleiben

Schauen wir auf das Mögliche. Nicht immer geht es darum, etwas Neues oder Innovatives zu entwickeln und bei jedem Business-Modell-Wettbewerb oder auf bei jeder Trendschau präsent zu sein. Das überfordert Unternehmen aus meiner Erfahrung und es entsteht eine Art operative Entwicklungs-Hektik, die wenig Wirksamkeit entfaltet. Viele wirkliche Problemfelder und Herausforderungen liegen näher und haben wenig mit der Erfindung eines neuen iPhones zu tun. Es geht um die kontinuierlichen Verbesserungen, um die Anpassungen an Neues oder um die Entwicklung neuer Elemente. Hier hilft die Verortung im Feld: Wer sind wir? Auf welche Ressourcen können wir zurückgreifen? Was sind wirksamen Leistungen und Produkte? Welche Trends und Entwicklungen sind für uns wirklich relevant? Wo haben wir einen ersten Entwicklungs-Hebel? Was ist unsere Zone der nächsten Entwicklung?

Diese Zugänge sind dann erfolgreich, wenn es gelingt, Energie in den Prozess zu bringen und in die Umsetzung zu kommen. Energie follows Attention: Das gilt besonders für Entwicklungsprozesse. Sie gelingen dann, wenn drei Menschen, wie es mein Freund Christian Botta ausdrückt, „wirklich Bock haben“ und das Ding mit Leidenschaft umsetzen.