13.
Dez.
2014

Von der Zukunft her denken

Kaum eine Woche vergeht, in der mir nicht neue Bücher unterkommen, die sich mit dem Thema „Management der Zukunft“ beschäftigen. Teilweise sind das ganz brauchbare Werke, die uns erklären, wie wunderbar neue Methoden und agile Herangehensweisen wirken, oder wie wir unsere Haltungen und Einstellungen entwickeln sollten. Was mir bei vielen dieser Bücher -die mir alle langsam zu stark dazu tendieren, sich gegenseitig abzuschreiben und die Postulate der Hipster-Generation zu predigen- fehlt, ist ein wissenschaftlich fundierter Tiefgang. Ein bisschen Business Model-Canvas da, ein wenig Design Thinking dort und alles eingehüllt in ein Wertegefasel über Augenhöhe, Beteiligung und Offenheit. Das ist mir zu wenig.

Theory U

Den notwendigen Tiefgang finde ich dann immer wieder bei Otto Scharmer. In seiner Theorie U, die u.a. stark auf Peter Senge The Fifth Discipline aufbaut, stellt er die These auf, dass wir unseren inneren Ort des Handelns ändern müssen, um kraftvolle Veränderungen zu erzeugen. Scharmer folgt dabei den Organisationsebenen Strukturen, Prozesse und Denken und entwickelt daraus ein Innovations- und Veränderungsmodell, das ähnlich wie der klassische Design Thinking-Prozess zwei zentrale Öffnungsperspektiven erschließt:

  • Sehen und verstehen, was alles im System vor sich geht,
  • intuitives Erfassen, was alles sein könnte.

Wahrnehmen, Zukunft spüren, umsetzen

Scharmer entwickelt einen U-Prozess der Veränderung. Dessen linke Seite führt uns von der Vergangenheit bis zur Gegenwart. Es geht dabei um die Reduktion der Geschwindigkeit und um ein aufmerksames Beobachten der Systeme und Fragestellungen. Das ist letztlich die Kunst, sich emphatisch in unterschiedliche Gegebenheiten hinein zu versetzen.
Am Wendepunkt des U angelangt geht es um Persencing, das intuitive Erfassen der größten Zukunftsmöglichkeiten. Scharmer vergleicht diesen zutiefst spirituellen und schöpferischen Punkt mit einem Maler, der vor einer leeren Leinwand plötzlich damit beginnt, ein Bild zu malen. Das ist auch der Punkt, an dem wir als einzelne Personen mit unseren größten zukünftigen Möglichkeiten in Kontakt treten, der Punkt des Neuen, des Kreativen, des Zukunftigen.
Entwickelt sich ein Gefühl, eine Intuition und ein Bild für diese Zukunft, dann geht es auf der anderen Seite des U wieder hinauf. Das bedeutet nicht ewiges Herumtüfteln und Analysieren, sondern verlangt, sich mit der eigenen Angst aktiv auseinander zu setzen, Prototypen zu bauen und diese mutig umzusetzen.

Im Wesentlichen ist Scharmers U-Prozess gar nicht so kompliziert. Es geht darum, urteilsfrei wahrzunehmen (also zu sehen und zu spüren), was in der Umgebung so los ist. Dann dem eigenen Herzen und der eigenen Intuitionen zu folgen (das hat übrigens auch Steve Jobs gefordert) und letztlich Dinge einfach umzusetzen, ohne Angst zu haben, daran zu scheitern.

Orte fürs Neue

Für Scharmer sind in diesem Prozess Orte von zentraler Bedeutung. Es braucht aus seiner Sicht Orte und Infrastrukturen, die uns helfen, auf das hinzuschauen, was ist und das zu verstehen, was im Gesamtsystem vor sich geht. Weiters braucht es Orte der Reflexion, Orte der Stille und der kreativen Entwicklung (co inspire) und es braucht Orte, wo das Neue laborartig in Form von Prototypen (co creation) umgesetzt werden kann.

Zugegeben, Otto Scharmers Theory U ist nicht für Zwischendurch geeignet, Otto Scharmer muss man sich schon in Ruhe erlesen. Theory U ist deshalb mein Reisebegleiter bei allen Urlauben geworden. Ich versuche Elemente in meine tägliche Arbeit mit Organisationen und Projekten einfließen zu lassen.
Vor kurzem hab ich das Buch wieder einmal gelesen und dabei bemerkt, wie sich eigene Sichtweisen weiter entwickeln und das Buch wieder einen ganz neuen Perspektivenwechsel auslösen kann. Das ist für mich ein Zeichen wirklich lebendiger und guter Bücher.

Links

Otto Scharmer bei der Leadership Akademie
U.Lab-Live Sessions
Otto Scharmer: Theory U – Einführung
Kelvy Bird